Der nächtliche Besuch
Wenn genügend Menschen vom gleichen überzeugt sind,
wird es zur universellen Wahrheit.
Ich liebe den Herbst - er ist die farbigste aller Jahreszeiten. Nicht nur das Laub leuchtet in einer Farbenpracht von grün über gelb bis dunkelrot; auch der Himmel zeigt die prächtigsten Schattierungen. Haben Sie schon einmal den Sonnenaufgang im Herbst mit dem im Sommer verglichen? Im Herbst scheinen die Wolken am Himmel zu brennen, erst im leuchtenden Rot, das sich immer mehr nach Rosa verändert, bis es schließlich orange, dann gelb wird und schließlich ganz verblasst. Der ganze Zauber dauert zehn, höchstens fünfzehn Minuten. Am Abend wiederholt sich das Schauspiel in umgekehrter Abfolge: die Welt wird in ein herrliches Orange gehüllt; die Schatten der Bäume, Menschen und Häuser kriechen meterweit über die Erde, bis sie sich am Ende mit der Dämmerung vereinen. Aber dann tritt unaufhaltsam das ein, wovor ich mich am meisten von allem in der Welt fürchte: die Dunkelheit. Während das Licht eine magische Wirkung auf mich hat, verstört mich das Dunkel schier.
Diese unmögliche Angst vor der Nacht stellt sich seit meiner Kindheit jeden Abend ein. Meine Eltern sind fast wahnsinnig geworden; stundenlang haben sie sich darum bemüht, mich zu beruhigen, mich in den Schlaf zu reden, mich davon zu überzeugen dass die Tatsache, dass die Welt im Dunkeln unsichtbar wird nicht heißt, dass sie sich plötzlich anders gestaltet. Aber bei mir hat das nicht ankommen wollen. Ich war und bin immer noch felsenfest davon überzeugt, dass sich die Welt bei Nacht sehr wohl verändert. Legen die Singvögel ihren Gesang nach der Dämmerung nicht nieder? Schließen die Blumen ihre Blüten etwa nicht, sobald das Tageslicht sie nicht länger bescheint? Kommen die Greifvögel, die Fledermäuse und viele weitere Raubtiere nicht gerade nachts aus ihrem Versteck hervor? So! Und wer könnte mir nun noch mit Sicherheit sagen, dass es keine Monster gibt, die nachts ebenfalls aus ihrem Unterschlupf hervorkriechen – Wesen, die man tagsüber ebenso wenig sieht wie den Dachs oder die Schleiereule – und doch wird niemand deren Existenz bestreiten. Fürchten sich Menschen nicht schon seitdem sie leben vor unsichtbaren Wesen, ob es jetzt Götter, Dämonen oder Geistesvorstellungen sind? Gewiss werden manche solcher Vorstellungen heute lächerlich gemacht, aber auch heute gibt es sechseinhalb Milliarden Menschen, die an einen Gott glauben, und keiner von den Menschen wird behaupten, den Gott jemals gegenüber gestanden zu haben.
Verzeihe mir diese leidenschaftliche Ausschweifung: ich wollte lediglich die Basis der folgenden Erzählung legen, denn viele werden dem, was ich zu sagen habe, keinen Glauben schenken wollen. An diejenigen richte ich mich, wenn ich sage: das was man nicht beweisen kann, muss man einfach glauben. Theorien sind nicht bewiesen, doch glaubt eine Vielzahl an Menschen an sie. Ich bitte meine Leser nur, die Wahrheit meiner Geschichte in Erwägung zu ziehen.
Der Wind heulte an jenem Abend unheimlich und vermischte sich mit dem Ruf der Eule, die sich immer in der Nähe meines Hauses aufzuhalten pflegte. Aus der Ferne klang das Gebell wütender Hunde. Meine leichten Gardinen tanzten auf den Luftstößen und formten sich zu einer Geistererscheinung, eine wehende Gestalt, die immer wieder in mein Zimmer eindrang und sich dann zurückzog.
Ich lag unruhig in meinem Bett und zog die Decken noch ein bisschen fester an mich. Ich konnte meine Augen nicht von den fliegenden Gardinen losreißen. Mein Herz klopfte heftig. Ich musste einfach die Balkontür schließen, aber mir war zu bang, dass ich mein sicheres Bett hätte verlassen können. Ich hoffte inständig, dass das ungestüme Wetter sich legen und mir meine Nachtruhe zurückgeben würde.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es kurz nach drei war. Die Nachtschwärze hatte ihren Tiefpunkt erreicht. Erst drei Stunden später würde es anfangen zu dämmern, und erst dann würde die Dunkelheit, die mich seit der Geburt so ängstlich stimmte, vom ersten Tageslicht, dem herrlichen rötlichen Licht des Herbstes, verdrängt werden. Sehnsüchtig wünschte ich diese ersten Fingerzeig des Morgengrauens herbei. Ich seufzte tief und wollte mich gerade umdrehen, um das Flattern der Gardinen nicht mehr beobachten zu brauchen, als ich auf dem Balkon ein dumpfes Geräusch hörte. Ich zuckte zusammen und versuchte mir einzureden, dass es nichts war, wie es meine Eltern früher immer taten, aber dann sah ich unbestreitbar einen sich bewegenden Schatten auf dem Balkon. Etwas richtete sich auf, stand einen kurzen Moment regungslos da, und schob sich dann in Richtung der offenen Tür. Zum Schreien war ich nicht in der Lage. Die Gardinen wurden zur Seite geschoben, und eine Gestalt – eine wirkliche Gestalt, nicht das Sinnbild des Gardinenstoffs - trat in das Zimmer ein. Wie sie aussah, ist schwer zu beschreiben, aber ich will es versuchen. Sie war groß, fast riesenhaft, denn sie reichte bis zur Decke. Trotz der relativen Helligkeit in meinem Zimmer (Sie verstehen, dass ich an meinem Bett immer ein Licht brennen ließ, um nicht in völliger Düsternis gefangen zu sein), war die Gestalt tiefschwarz. Es war mir klar, dass es ein menschenähnliches Wesen war – oder jedenfalls mal gewesen sein musste. Es waren zwei Beine und zwei Arme zu unterscheiden, ebenso ein Kopf, obwohl Augen, Mund und Nase im ersten Augenblick nicht erkennbar waren. Doch sobald die Erscheinung sich näherte, wurden die Konturen klarer und das Bild deutlicher. Ihre nähernden Schritte dröhnten schwer auf dem Boden, genauso dumpf wie sie sich vorher auf dem Balkon angehört hatten. Ich sah nun, dass das Geschöpf in einem dicken Mantel gehüllt war, das es über seinen Kopf gezogen hatte, aber nun schlug es die Kappe nach hinten, und ich bekam sein Gesicht zu sehen: in der Mitte eines eingefallenen, weißen Gesichts leuchteten zwei pechschwarze Augen, die mich durchdringend, aber nicht drohend anschauten. Die Nase war ausgeprägt, die Lippen dünn. Ich lag immer noch wie versteinert, die Decke bis zum Kinn über mich gezogen und am ganzen Leib zitternd. Die Gestalt stand nun direkt neben mir und bog sich über mich – ich dachte, dass mein Ende nun gekommen sei, und schloss meine Augen. Aber statt mich zu erwürgen oder mir seine Zähne in den Hals zu drängen, hörte ich, dass sie schnüffelte. Obwohl ich vor Angst gelähmt war, erinnere ich mich noch gut, wie sehr mich das überraschte: ich hatte mit einem gewaltsamen Überfall gerechnet, ein Vergreifen, ja, ich glaubte sogar, dass dieses Wesen mir das Blut aussaugen würde: aber nichts von alldem! Alles, was es tat, war riechen. Ich öffnete meine Augen so weit, dass ich durch meine Wimpern sah, wie das Blut in die Wangen des unheimlichen Besuchers zurückzukehren schien. Die Tönung seines Gesichtes, die eben noch ganz weiß, ja fast durchsichtig war, färbte sich nun rosa. Er atmete einmal tief und erleichtert ein, als ob das Leben gerade in ihm zurückgekehrt war, was tatsächlich auch so aussah – war eine Leichenähnliche Gestalt in mein Zimmer getreten, so kehrte sich nun ein normal aussehender, wenn auch sehr großer, Mann von mir ab.
Er war verschwunden, bevor ich ganz verarbeitet hatte, was vorgefallen war. Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder zu bewegen traute und feststellte, dass mir nichts fehlte. Der fremde Besucher hatte weder mir, noch meinen Habseligkeiten etwas getan. Alles verhielt sich so, als ob nichts gewesen wäre: die Eule und die Hunde machten die gleichen Geräusche wie vor dem Besuch; der Wind heulte ebenso angestrengt weiter, so dass ich mich fast fragte, ob ich das Ganze nicht geträumt hatte.
Am folgenden Morgen wachte ich auf (wie ich nach einem nächtlichen Besuch dieser Art habe einschlafen können ist mir bis heute unklar) und erinnerte mich sogleich an das Geschehene. Es erschien mir jetzt, wo das kommende Tageslicht mein Zimmer erhellte, noch unwahrscheinlicher als es nachts gewesen war. Die Sache beschäftigte mich bis zum Kopfzerbrechen und ich war kurz davor, mich darauf zu einigen, dass es ein lebensechter Traum gewesen war, als ich im Türrahmen ein Stück dicken, schwarzen Stoff flattern sah. Mir dämmerte jetzt wieder, dass die Gestalt beim Verlassen des Raumes hängen geblieben war: angeblich hatte sie dabei ein Stück ihres Mantels verloren. Vorsichtig nahm ich das Stückchen Stoff in die Hand und trat damit ins Sonnenlicht, um es besser anschauen zu können. Es zerbröselte jedoch sogleich in meinen Fingern, bis nichts davon übrig war. Voller Unglauben starrte ich auf meine leere Hand. Nichts! Nichts war von dem Textil, das ich doch wirklich vor wenigen Augenblicken noch in der Hand gehalten hatte, übrig geblieben!
Niemand, dem ich an den darauffolgenden Tagen von meinem nächtlichen Erlebnis erzählte, hat mir geglaubt. Alle wussten um meine panische Angst vor der Finsternis und schrieben meine phantastische Erzählung der Angst und der Überarbeitung zu. Aber ich wusste, dass ich die Wahrheit sprach, und wollte es nicht als Fantasie dastehen lassen! Ich gab es schließlich auf, meine Freunden davon überzeugen zu wollen, und entschied mich dazu, meine Geschichte aufzuschreiben, in der Hoffnung, auf diesem Wege einen Mitmenschen zu finden, der das gleiche erlebt hat wie ich: denn ich glaube mittlerweile, dass nicht nur ich von dieser Gestalt aufgesucht worden bin. Hören Sie meine Theorie: dieses Wesen ist unsere eigene Kreatur: wir, die Ängstlichen, haben sie erschaffen, und nun lebt sie dort draußen, und ernährt sich von unserer Angst.
wird es zur universellen Wahrheit.
Ich liebe den Herbst - er ist die farbigste aller Jahreszeiten. Nicht nur das Laub leuchtet in einer Farbenpracht von grün über gelb bis dunkelrot; auch der Himmel zeigt die prächtigsten Schattierungen. Haben Sie schon einmal den Sonnenaufgang im Herbst mit dem im Sommer verglichen? Im Herbst scheinen die Wolken am Himmel zu brennen, erst im leuchtenden Rot, das sich immer mehr nach Rosa verändert, bis es schließlich orange, dann gelb wird und schließlich ganz verblasst. Der ganze Zauber dauert zehn, höchstens fünfzehn Minuten. Am Abend wiederholt sich das Schauspiel in umgekehrter Abfolge: die Welt wird in ein herrliches Orange gehüllt; die Schatten der Bäume, Menschen und Häuser kriechen meterweit über die Erde, bis sie sich am Ende mit der Dämmerung vereinen. Aber dann tritt unaufhaltsam das ein, wovor ich mich am meisten von allem in der Welt fürchte: die Dunkelheit. Während das Licht eine magische Wirkung auf mich hat, verstört mich das Dunkel schier.
Diese unmögliche Angst vor der Nacht stellt sich seit meiner Kindheit jeden Abend ein. Meine Eltern sind fast wahnsinnig geworden; stundenlang haben sie sich darum bemüht, mich zu beruhigen, mich in den Schlaf zu reden, mich davon zu überzeugen dass die Tatsache, dass die Welt im Dunkeln unsichtbar wird nicht heißt, dass sie sich plötzlich anders gestaltet. Aber bei mir hat das nicht ankommen wollen. Ich war und bin immer noch felsenfest davon überzeugt, dass sich die Welt bei Nacht sehr wohl verändert. Legen die Singvögel ihren Gesang nach der Dämmerung nicht nieder? Schließen die Blumen ihre Blüten etwa nicht, sobald das Tageslicht sie nicht länger bescheint? Kommen die Greifvögel, die Fledermäuse und viele weitere Raubtiere nicht gerade nachts aus ihrem Versteck hervor? So! Und wer könnte mir nun noch mit Sicherheit sagen, dass es keine Monster gibt, die nachts ebenfalls aus ihrem Unterschlupf hervorkriechen – Wesen, die man tagsüber ebenso wenig sieht wie den Dachs oder die Schleiereule – und doch wird niemand deren Existenz bestreiten. Fürchten sich Menschen nicht schon seitdem sie leben vor unsichtbaren Wesen, ob es jetzt Götter, Dämonen oder Geistesvorstellungen sind? Gewiss werden manche solcher Vorstellungen heute lächerlich gemacht, aber auch heute gibt es sechseinhalb Milliarden Menschen, die an einen Gott glauben, und keiner von den Menschen wird behaupten, den Gott jemals gegenüber gestanden zu haben.
Verzeihe mir diese leidenschaftliche Ausschweifung: ich wollte lediglich die Basis der folgenden Erzählung legen, denn viele werden dem, was ich zu sagen habe, keinen Glauben schenken wollen. An diejenigen richte ich mich, wenn ich sage: das was man nicht beweisen kann, muss man einfach glauben. Theorien sind nicht bewiesen, doch glaubt eine Vielzahl an Menschen an sie. Ich bitte meine Leser nur, die Wahrheit meiner Geschichte in Erwägung zu ziehen.
Der Wind heulte an jenem Abend unheimlich und vermischte sich mit dem Ruf der Eule, die sich immer in der Nähe meines Hauses aufzuhalten pflegte. Aus der Ferne klang das Gebell wütender Hunde. Meine leichten Gardinen tanzten auf den Luftstößen und formten sich zu einer Geistererscheinung, eine wehende Gestalt, die immer wieder in mein Zimmer eindrang und sich dann zurückzog.
Ich lag unruhig in meinem Bett und zog die Decken noch ein bisschen fester an mich. Ich konnte meine Augen nicht von den fliegenden Gardinen losreißen. Mein Herz klopfte heftig. Ich musste einfach die Balkontür schließen, aber mir war zu bang, dass ich mein sicheres Bett hätte verlassen können. Ich hoffte inständig, dass das ungestüme Wetter sich legen und mir meine Nachtruhe zurückgeben würde.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es kurz nach drei war. Die Nachtschwärze hatte ihren Tiefpunkt erreicht. Erst drei Stunden später würde es anfangen zu dämmern, und erst dann würde die Dunkelheit, die mich seit der Geburt so ängstlich stimmte, vom ersten Tageslicht, dem herrlichen rötlichen Licht des Herbstes, verdrängt werden. Sehnsüchtig wünschte ich diese ersten Fingerzeig des Morgengrauens herbei. Ich seufzte tief und wollte mich gerade umdrehen, um das Flattern der Gardinen nicht mehr beobachten zu brauchen, als ich auf dem Balkon ein dumpfes Geräusch hörte. Ich zuckte zusammen und versuchte mir einzureden, dass es nichts war, wie es meine Eltern früher immer taten, aber dann sah ich unbestreitbar einen sich bewegenden Schatten auf dem Balkon. Etwas richtete sich auf, stand einen kurzen Moment regungslos da, und schob sich dann in Richtung der offenen Tür. Zum Schreien war ich nicht in der Lage. Die Gardinen wurden zur Seite geschoben, und eine Gestalt – eine wirkliche Gestalt, nicht das Sinnbild des Gardinenstoffs - trat in das Zimmer ein. Wie sie aussah, ist schwer zu beschreiben, aber ich will es versuchen. Sie war groß, fast riesenhaft, denn sie reichte bis zur Decke. Trotz der relativen Helligkeit in meinem Zimmer (Sie verstehen, dass ich an meinem Bett immer ein Licht brennen ließ, um nicht in völliger Düsternis gefangen zu sein), war die Gestalt tiefschwarz. Es war mir klar, dass es ein menschenähnliches Wesen war – oder jedenfalls mal gewesen sein musste. Es waren zwei Beine und zwei Arme zu unterscheiden, ebenso ein Kopf, obwohl Augen, Mund und Nase im ersten Augenblick nicht erkennbar waren. Doch sobald die Erscheinung sich näherte, wurden die Konturen klarer und das Bild deutlicher. Ihre nähernden Schritte dröhnten schwer auf dem Boden, genauso dumpf wie sie sich vorher auf dem Balkon angehört hatten. Ich sah nun, dass das Geschöpf in einem dicken Mantel gehüllt war, das es über seinen Kopf gezogen hatte, aber nun schlug es die Kappe nach hinten, und ich bekam sein Gesicht zu sehen: in der Mitte eines eingefallenen, weißen Gesichts leuchteten zwei pechschwarze Augen, die mich durchdringend, aber nicht drohend anschauten. Die Nase war ausgeprägt, die Lippen dünn. Ich lag immer noch wie versteinert, die Decke bis zum Kinn über mich gezogen und am ganzen Leib zitternd. Die Gestalt stand nun direkt neben mir und bog sich über mich – ich dachte, dass mein Ende nun gekommen sei, und schloss meine Augen. Aber statt mich zu erwürgen oder mir seine Zähne in den Hals zu drängen, hörte ich, dass sie schnüffelte. Obwohl ich vor Angst gelähmt war, erinnere ich mich noch gut, wie sehr mich das überraschte: ich hatte mit einem gewaltsamen Überfall gerechnet, ein Vergreifen, ja, ich glaubte sogar, dass dieses Wesen mir das Blut aussaugen würde: aber nichts von alldem! Alles, was es tat, war riechen. Ich öffnete meine Augen so weit, dass ich durch meine Wimpern sah, wie das Blut in die Wangen des unheimlichen Besuchers zurückzukehren schien. Die Tönung seines Gesichtes, die eben noch ganz weiß, ja fast durchsichtig war, färbte sich nun rosa. Er atmete einmal tief und erleichtert ein, als ob das Leben gerade in ihm zurückgekehrt war, was tatsächlich auch so aussah – war eine Leichenähnliche Gestalt in mein Zimmer getreten, so kehrte sich nun ein normal aussehender, wenn auch sehr großer, Mann von mir ab.
Er war verschwunden, bevor ich ganz verarbeitet hatte, was vorgefallen war. Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder zu bewegen traute und feststellte, dass mir nichts fehlte. Der fremde Besucher hatte weder mir, noch meinen Habseligkeiten etwas getan. Alles verhielt sich so, als ob nichts gewesen wäre: die Eule und die Hunde machten die gleichen Geräusche wie vor dem Besuch; der Wind heulte ebenso angestrengt weiter, so dass ich mich fast fragte, ob ich das Ganze nicht geträumt hatte.
Am folgenden Morgen wachte ich auf (wie ich nach einem nächtlichen Besuch dieser Art habe einschlafen können ist mir bis heute unklar) und erinnerte mich sogleich an das Geschehene. Es erschien mir jetzt, wo das kommende Tageslicht mein Zimmer erhellte, noch unwahrscheinlicher als es nachts gewesen war. Die Sache beschäftigte mich bis zum Kopfzerbrechen und ich war kurz davor, mich darauf zu einigen, dass es ein lebensechter Traum gewesen war, als ich im Türrahmen ein Stück dicken, schwarzen Stoff flattern sah. Mir dämmerte jetzt wieder, dass die Gestalt beim Verlassen des Raumes hängen geblieben war: angeblich hatte sie dabei ein Stück ihres Mantels verloren. Vorsichtig nahm ich das Stückchen Stoff in die Hand und trat damit ins Sonnenlicht, um es besser anschauen zu können. Es zerbröselte jedoch sogleich in meinen Fingern, bis nichts davon übrig war. Voller Unglauben starrte ich auf meine leere Hand. Nichts! Nichts war von dem Textil, das ich doch wirklich vor wenigen Augenblicken noch in der Hand gehalten hatte, übrig geblieben!
Niemand, dem ich an den darauffolgenden Tagen von meinem nächtlichen Erlebnis erzählte, hat mir geglaubt. Alle wussten um meine panische Angst vor der Finsternis und schrieben meine phantastische Erzählung der Angst und der Überarbeitung zu. Aber ich wusste, dass ich die Wahrheit sprach, und wollte es nicht als Fantasie dastehen lassen! Ich gab es schließlich auf, meine Freunden davon überzeugen zu wollen, und entschied mich dazu, meine Geschichte aufzuschreiben, in der Hoffnung, auf diesem Wege einen Mitmenschen zu finden, der das gleiche erlebt hat wie ich: denn ich glaube mittlerweile, dass nicht nur ich von dieser Gestalt aufgesucht worden bin. Hören Sie meine Theorie: dieses Wesen ist unsere eigene Kreatur: wir, die Ängstlichen, haben sie erschaffen, und nun lebt sie dort draußen, und ernährt sich von unserer Angst.