Of Things Past and Imagined
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Nach dem Fall

Es begann mit einem ohrenbetäubenden Knall. Darauf folgte der Sturz; ein schnelles, regelmäßiges Fallen, immer tiefer, oder höher, denn nicht nur ich, sondern auch die Gegend um mich herum drehte sich, so dass ich bald nicht mehr wusste, was oben und was unten war. Ich befand mich in einer Art unendlichem Tunnel. Ein buntes Gemisch aus Farben, unerkennbaren Formen und - und das war das Schlimmste - Geräusche umgab mich. Durch meine Geschwindigkeit hörte ich immer nur Fragmente von Lauten; hohe, schrille, tiefe, laute, beängstigende Töne, jeweils für nur einen Bruchteil einer Sekunde; es machte mich geradezu verrückt. Ich versuchte mit meinen Händen meine Ohren vor dem Lärm zu schützen, aber der Sog war so gigantisch, und ich konnte es mit meiner ganzen Kraft nicht vollbringen, meine Arme hochzuheben. Ich musste mich also der Situation hingeben und abwarten, bis das Fallen ein Ende nahm. Ich weiß nicht, wie lange ich so gefallen bin, dann ließ die Geschwindigkeit schlagartig nach, und mit einem sanften, dumpfen Aufprall war es vorbei. Die Formen und Farben drehten sich allerdings noch immer vor meinen Augen, so intensiv waren sie gewesen, und auch durch reiben vermochten sie nicht zu verschwinden. Ich tastete um mich herum, um trotz meines fehlenden Sehvermögens etwas über die Gegend in Erfahrung zu bringen. Ich fand mich sitzend auf einer weichen Fläche, und meinen Tastsinn verriet mir, dass ich mich auf einer Wiese befand. Nur war das Gras sanfter als jedes Gras, dass ich je gefühlt hatte. Ich empfand ein außergewöhnliches Vergnügen daran, die einzelnen Halmen durch meine Finger gleiten zu lassen. Langsam kam meine Sicht wieder, und sofort darauf folgte die Überraschung. Ich erkannte nichts von dem, was ich um mich herum sah! Die Gegend war mir völlig unbekannt. Ich saß auf einem kleinen Hügel vom üppigsten Gras, das man sich vorstellen kann. Weithin sah ich kein einziges Haus, nur Wälder und weitere Hügel. Ich vermutete, dass ich vielleicht in Irland war, und zwar an einem von den seltenen Tagen, an denen es dort herrlichstes Wetter war. Anscheinend hatte ich für einen Ausflug nach Irland gerade den richtigen Tag erwischt. Es war nur sehr merkwürdig, dass sich das Wetter innerhalb derart kurzer Zeit so stark verändert hatte. Weniger merkwürdig war vielleicht, dass ich keinen der andern sah – niemand, die mit mir im Flugzeug gesessen war, und auch vom Flieger selbst sah ich keine Spur. Der Sturmwind musste uns alle in verschiedene Richtungen geführt haben, wir mussten alle wo anders gelandet sein... vielleicht sogar in verschiedenen Ländern, da ich ja auch in Irland war! Ich hoffte für meine Mitpassagiere, dass diese auch so gut davon gekommen waren wie ich, denn wie ich feststellte, fehlte mir nichts, außer ein leichtes Ohrensausen.

Ich stand auf und beschloss, den Hügel herunterzulaufen und nach jemandem zu suchen. Ich brauchte Auskunft darüber, wo ich war (denn ich nahm ja nur an, dass es Irland war, und selbst wenn das stimmte, könnte es ja überall in Irland sein) und wie ich wieder nach Hause kommen konnte. Meine Gelenke waren vom Sturz etwas steif, aber schon bald bekam ich wieder Schwung, und ich lief, als wenn gar nichts passiert wäre. Unten am Hügel blühten Blumen von verschiedenster Art, alle in den kräftigsten Farben; es war wirklich wunderschön. Es lief ein Sandweg zwischen dem Fuß des Hügels und einem Wald, und so folgte ich dem Weg in Richtung Osten, denn dort hatte ich etwas gesehen, was ein Tal sein könnte, und hoffte, dass ich dort auch auf Menschen treffen würde. Vögel wie Schmetterlinge flogen an mir vorüber. Ein großer, rotschwarzer Schmetterling setzte sich am Rand des Weges auf das Gras, und als ich mich über ihn bog, flog er nicht auf, sondern ließ sich von mir bewundern. Ich glaube, ich hätte ihn aufheben können, unterließ das aber, da ich wusste, wie fragil die Flügel eines Schmetterlings sind. Es war wirklich seltsam, wie friedlich es dort war, die Gegend glich im Nichts der Stadt, aus der ich kam, wo Stress alles beherrschte und die angelegten Bäume entlang der Straßen als ‘Natur’ galten. Es tat mir gut zu sehen, dass es schon noch Orte auf der Erde gab, die noch nicht von Menschenhand befleckt worden waren. Ich hoffte, dass das Flugzeug ganz wo anders abgestürzt, und nicht in einen Teil dieses wunderschönen Fleckchens heruntergekommen war.

Ich sage Fleckchen, aber in Wirklichkeit sah ich, selbst als ich wieder auf einen Hügel kletterte, nirgendwo nur eine Ortschaft, noch begegnete mir irgendjemand. Ich wähnte mich alleine auf der Welt, ein Eindruck, der mir anfangs noch behagte (denn wo findet man heutzutage noch einen Ort, an dem man alleine ist?), aber das schlug nach wenigen Stunden in ein höchst beklemmendes Gefühl um. Ich bemerkte nämlich, wie mein Schatten allmählich länger wurde, die Sonne neigte sich langsam, aber sicher, und bald würde diese Gegend in Dunkelheit gehüllt sein. Wo konnte ich jetzt hingehen? Sollte ich mich einfach auf die Wiese hinlegen und schlafen, bis der Morgen kam? Ich hatte wohl keine andere Wahl. Zu meinem Glück erreichte ich bald einen schmalen, Bach, in dem klarstes Wasser floss, so dass ich mich wegen Trinkwassers nicht zu sorgen brauchte. Unter einer gewaltigen Eiche suchte ich eine gemütliche Position, in der ich die Nacht verbringen konnte. Nun, da ich mich hinlegte, überkam mich plötzlich die Müdigkeit, und zugleich auch die Angst. Wenn ich mich wirklich auf einem unberührten Fleck auf der Erde befand, wie lange würde es denn noch dauern, bis ich meinen Weg zurück in die Zivilisation finden würde? Die Parallele mit einem Schiffbrüchige lag auf der Hand: ich befand mich wie Robinson Crusoe auf einer unbewohnten Insel, nachdem mein Gefährt einen Unfall erlitten hatte; und auch ich musste mich jetzt zu retten wissen, bis Hilfe kam. Das könnte ewig dauern! Wahrscheinlich würde niemand vermuten, dass ich noch lebte, und nur um das Wrack herum würde nach meiner Leiche gesucht werden, und wenn sie nichts fanden, würden sie davon ausgehen, dass sie verbrannt war, oder so etwas. Mir schauderte bei der Vorstellung. Ich musste mich ausruhen und am nächsten Tag weiterlaufen. Wenn ich mich immer in die gleiche Richtung bewegen würde, müsste ich ja irgendwann auf ein Dorf stoßen; der Weg war ja angelegt worden, und warum würde der Mensch einen Weg anlegen, der nirgendwo hinführt. Von diesem meinen eigenen Gedanken etwas beruhigt schlief ich schließlich ein.

Ob es Hunger, die pralle Sonne, oder der Verdacht eines Menschen in meiner Gegenwart war, das mich aufweckte, wusste ich nicht. Jedenfalls waren alle drei Sachen anwesend. Das erste war sehr unangenehm, das zweite ließ sich leicht beheben, aber das dritte! Das war etwas sehr günstiges. Ich sah ihn – den Mensch – mit seinem Rücken zu mir gewandt am Bach stehen. Ich krabbelte ein wenig unbeholfen hoch, denn schon immer macht mich die Anwesenheit eines anderen, während ich schlafe, nervös. Er muss meine Regung gemerkt haben, denn sobald ich stand, drehte er sich zu mir um. Es war ein schön aussehender Mann mittleren Alters, mit halblangem Bart und pechschwarzem Haar, das nur an den Schläfen einen Hauch von grau verriet. Ohne etwas zu sagen, kam er zu mir und reichte er mir etwas zu essen. Ich bedankte mich stammelnd und aß schweigend das Brot; er sah mir dabei begutachtend zu. Als ich gesättigt war, fragte ich ihn das, was mir schon die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte, ich aber während dem Essen nicht zu fragen wagte: wo ich war.

Er lächelte.

»Ich weiß, dass Sie nicht wissen, wo Sie sind«, sagte er. Auf meinen verwirrten Blick erwiderte er: »Sonst hätten Sie sich dort nicht zum Schlafen hingelegt, wo Sie es gemacht haben. Bevor ich Ihnen verrate, wo wir sind, will ich Ihnen erst noch mehr zeigen. Sie sind nicht vom Weg abgegangen, nehme ich an?«

»Nein, ich hoffte, dass der Weg mich zu einer Ortschaft führen würde«, antwortete ich.

»Wie ich es mir dachte. Folgen Sie mir.« Er ging mir vor, in den Wald hinein. Der Geruch, der mir dort entgegenkam, war unbe-schreiblich. Es roch so frisch nach Freiheit, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wieso ich mich jemals nach einer Siedlung gesehnt hatte. Dieser Wald umfasst alles, was ein Mann brauchte! Wilde Tiere scharrten herum, mit dem gleichen Desinteresse an mir wie der Schmetterling am Vortag. Diese Tiere fürchteten sich nicht vor Menschen, was bedeuten musste, dass sie noch nicht oft mit Menschen in Berührung gewesen waren! Sie wussten nicht, dass sie den Menschen als Feind betrachten mussten! Wir steuerten auf einen offenen Platz zu. Dort stürzte ein kleiner Wasserfall in einen smaragdgrünen See hinunter. Unzählige Wasservögel krabbelten herum und schwammen im See, ein Regenbogen spiegelte sich im herunterstürzenden Wasser. Mir fehlten die Worte. Es war, als ob jeden Moment ein Elfchen oder ein Einhorn um die Ecke kommen könnte, so ungewohnt fabelhaft war der Anblick.

Mein Führer bemerkte mein Empfinden und lächelte.

»Eine derartige Schönheit haben Sie noch nie zuvor gesehen, richtig?«

»Ich... Nein... Ich wusste nicht, dass es noch so pure Orte auf der Erde gab! Welch ein Glück, dass ich ausgerechnet hier niedergekommen bin...! Wissen Sie, ich war Passagier in einem kleinen Privatflugzeug, das in Bradford losgeflogen ist. Wir wollten eigentlich nur zur wallisischen Küste fliegen, wurden aber in der Luft von einem Sturm überrascht. Das Flugzeug ist mitgezogen worden, ich weiß gar nicht wie lange wir steuerlos durch die Luft geflogen sind. Der Pilot hatte wahrscheinlich schon das Bewusstsein verloren. Irgendwann wurde der Flieger vom Blitz getroffen, und wir mussten rausspringen, wollten wir noch eine Chance aufs Überleben haben, denn im Flieger wären wir lebendig verbrannt worden. Wann die anderen gesprungen sind, weiß ich nicht – es waren neben mir und dem Piloten noch sieben Menschen – aber nachdem ich sprang, geriet ich in einen Fall, der mir unendlich vorkam. Ich muss nur halb bei Bewusstsein gewesen sein, denn das, an was ich mich erinnere, ist vage und unzusammenhängend. Es war gestern, dass ich mich auf einem Hügel in dieser prächtigen Gegend wiederfand. Es fühlt sich alles so unwirklich an, nun ich das so erzähle... Und mir wird auf einem Male bewusst, welch ein Glück ich habe, dass ich unversehrt davon gekommen bin...! Um ein Haar wäre ich gestorben und befände ich mich in Gottes himmlischem Reich...«

Der Mann sah mich bedeutungsvoll lächelnd an, und plötzlich begriff ich.
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