Vera Nijveld
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Wir rannten und lachten

Wir rannten und lachten. Ab dem Tag, an dem du in das Nachbarhaus gezogen bist, waren wir unzertrennlich. Deine Eltern statteten uns einen Besuch ab und waren sehr erfreut, als sie mich antrafen. Ein Nachbarsjunge im gleichen Alter wie ihr Sohn, das war doch herrlich. Sie hofften, dass wir gute Kameraden werden würden. Und das wurden wir. Wir konnten stundenlang in meinem Zimmerchen sitzen und reden, lesen oder mit meinen Spielzeugautos spielen. Ich hatte nicht viel Spielzeug, das war in der Zeit noch nicht so üblich, aber du wusstest immer etwas zu erzählen und dachtest dir eine nach der anderen Geschichte aus. Ich hing dir an den Lippen. Sobald die Sonne schien, und das war oft (in jener Zeit waren die Sommer noch wie Sommer sein sollten), waren wir draußen. Wir spielten am Fluss, gingen schwimmen oder spielten wer am längsten stillliegen konnte. Mit eifriger Miene untersuchten wir die Insekten die uns summend umringten. In einem Sommer, wir waren sechs oder sieben, fuhren wir tagtäglich in einem hölzernen Wägelchen, das mein Vater selbst angefertigt hatte, durch die Straßen. Manchmal saßt du drin und ich zog dich, das nächste Mal saß ich, strahlend und winkend wie ein Prinz darauf, und dann zogst du. Du warst immer stärker als ich und du gabst dein bestes um mich so lange und so schnell wie möglich fortzubewegen. Wir stritten uns nie. Wir gönnten einander alles. Unsere Talente glichen sich so gut aus, dass es gar keinen Grund gab uns wegen irgendetwas zu streiten. Du warst der Stärkste, aber ich war schneller wenn wir um die Wette liefen. Die Sommer und die Tage schienen eine Ewigkeit zu dauern, und jeden Moment jener Ewigkeit verbrachten wir zusammen. Die Nachbarn scherzten manchmal. ‚Die Jungs können sich ja gar nicht voneinander trennen. Eines Tages heiraten die noch!‘, sagten sie.
Wir gingen zur Schule. Im Klassenzimmer saßen wir nebeneinander, nach der Schule machten wir gemeinsam Hausaufgaben. Unsere Mitschüler redeten von Mädchen, aber uns interessierten die nicht. Mein Vater fragte mich manchmal aus Spaß ob ich ein Liebchen hätte, dann pflegte ich mit den Achseln zu zucken und zu schweigen. Ich brauchte kein Liebchen.
Wir wurden älter und unsere Körper veränderten sich. Früher hatten wir immer nackt geschwommen, das war normal, alle Jungs taten es. Aber jetzt waren wir dreizehn, und es fühlte sich anders an, wenn ich deinen nackten Körper betrachtete. Deine dunkle Haut machte Gefühle in mir frei, die ich vorher noch nicht kannte. Wir merkten es beide. Es passierte gleichzeitig, als ob wir eins waren. Wir fühlten, dass wir kein Mädchen, sondern einander wollten. Und obwohl unser Beisammensein etwas Wundervolles war, fühlte es sich irgendwie falsch an. Wir mussten es geheim halten, schworen wir. Unsere Eltern sollten nichts davon erfahren. Nach der Schule lernten wir und nach dem Lernen zogen wir uns aus.
So vergingen mehrere glückliche Jahre. Siebzehn und noch nie ein Mädchen gehabt. Da ist was faul, sagte mein Vater eines Abends, als er mich für ein ernstes Gespräch zu sich gerufen hatte. Jeder hatte in dem Alter schon mal geküsst. Was mit mir los war, wollte er wissen. Ob sie mich nicht gut genug informiert hatten? Ich stritt das ab, ich wusste genug. Ich wusste auch, dass ich kein Mädchen wollte, aber das sagte ich ihm nicht. Stattdessen sagte ich, dass mir die richtige Person noch nicht begegnet war. Das stellte meine Eltern zufrieden, wenigstens für eine Weile. Mir tat es weh. Die richtige Person wohnte schon seit zwölf Jahre neben mir.
Zwölf Jahre der Untrennbarkeit, aber es würde enden. Du gingst in der Stadt studieren und zogst um. Ich blieb im Dorf um ein Fach zu lernen, wie es meine Eltern formulierten. Die schrecklichsten Gefühle überkamen mich. Ich vermisste deine Anwesenheit und die Sicherheit deiner Existenz. Zwölf Jahre lang hatte ich dich jeden Tag gesehen. Woher wusste ich jetzt, ob es dir gut ging, ob du fröhlich oder traurig warst? Telefonieren war teuer, das ging nicht jeden Tag. Wir schrieben Briefe und zählten die Tage, bis du wieder mal ins Dorf kommen würdest. Dann lagen wir den ganzen Abend einander in den Armen, schweigend, oder du erzähltest Geschichten, genau wie früher.
Dann gab es die Eifersucht. Ich wollte es nicht, aber die Vorstellung von dir mit einem andern Mann drang sich gnadenlos in mein Kopf. Je länger du wegbliebst, desto schlimmer wurde es. Meine Fantasie war unbezähmbar. Ich hatte solche klaren Bilder im Kopf, dass ich tatsächlich böse mit dir werden konnte. Du hattest mich schon verlassen, mir fremdgehen war nur ein nächster Schritt. Es war etwas Logisches, etwas Unvermeidliches. Natürlich schworst du, dass es keinen anderen gab, und fühltest dich durch mein Misstrauen verletzt. Ich schämte mich und bat dich um Verzeihung. Und du verziehst mir. Jedes Mal wieder. Es muss dich eine beträchtliche Menge Geduld gekostet haben, aber das war etwas, das mir erst später bewusst wurde.
Indessen wurde mein Vater ungeduldig. Er war der Prototyp eines Mannes: stark, selbstsicher, sorgte sich um seine Frau, aber auch immer mit einem Auge für andere Frauen, ohne dass es meiner Mutter unangenehm werden musste. Er war geschickt und wusste zuzupacken. Er hätte es niemals laut ausgesprochen, aber ich wusste, dass ich ihn enttäuschte. Als er einen Sohn bekam hatte er gehofft, ein Kind nach seinem Vorbild schaffen zu können. Er hat alles dafür getan, um mich für das Handwerk zu begeistern, aber ich las lieber. Ich versuchte es ihm zuliebe, aber ich war einfach nicht dafür gemacht. Schließlich hatte er es aufgegeben. Manchmal schaute er trübsinnig auf meine feinen, blanken Hände, mit denen er so Großes vorgehabt hatte. Ich war also in dieser Hinsicht schon nicht der Sohn, den er sich gewünscht hatte, und jetzt kümmerte ich mich auch noch nicht mal um Frauen. Ich war ein attraktiver junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, und ich bekam jede Menge Aufmerksamkeit von kichernden Mädchen, aber ich lud sie natürlich nie zu mir ein. In den wiederholten Gesprächen mit meinem Vater blieb ich verschlossen. Letztendlich muss eine Vermutung in ihm gewachsen sein. Obwohl er dich immer herzlich begrüßt hatte und sich immer freute dich, mein Busenfreund, zu sehen, fing er auf einmal an, dich argwöhnisch zu betrachten. Ob wir doch nicht mal in die Kneipe gehen wollten und andere Jungs und Mädels kennenlernen wollten, fragte er an einem deiner seltenen Besuche, als wir uns aufmachten, in mein Zimmer zu verschwinden. Nach einer obligatorische Stunde im Wohnzimmer meiner Eltern konnten wir es kaum noch erwarten, nach oben zu gehen und die Sehnsucht, die im Laufe der Wochen zu fast unmöglicher Größe gewachsen war, auszuleben. Wir wichen einer Antwort aus und flohen in mein Zimmer. In unserer Familie hatte immer eine unausgesprochene Privatsphäre geherrscht. Meine Eltern würden niemals einfach so mein Zimmer betreten, und deswegen war es überflüssig, das Zimmer abzuschließen. Aber an jenem Tag konnte mein Vater nicht anders: er musste seine schlimmste Befürchtungen bestätigt - oder lieber gesagt widerlegt - sehen. Als wir etwa zehn Minuten oben waren, schlich er die Treppe hoch. Er öffnete die Tür zu meinem Zimmer ganz vorsichtig. Seine Reaktion war schrecklich. Sobald er uns sah, schmiss er die Tür so wuterfüllt auf, dass diese mit einem lauten Knall an die Wand prallte, und stieß ein unkontrolliertes Gebrüll aus. Wir erschraken uns gewaltig und hatten natürlich keinerlei Möglichkeit mehr, die Sache anders erscheinen zu lassen, als wie sie war. 'Raus!', brüllte er zu dir. Der Speichel flog aus seinem wutverzerrten Mund und die Adern in seinen Schläfen pochten gefährlich. Er zog dich gewaltsam vom Bett und zerrte dich aus der Tür, warf einen Haufen Klamotten, die zum Teil dir und zum Teil mir gehörten, hinter dir her und knallte die Tür zu. Ich habe die Haustür nicht mehr hören können und wusste also nicht, ob du auch wirklich weg warst, denn mein Vater hat sich dann auf mich gestürzt. Mit seinen großen, starken Händen schlug er mich. 'Mein Sohn', heulte er, 'eine schmierige Tunte! Habe ich dir denn nicht immer alle meine Aufmerksamkeit gewidmet, habe ich denn nicht alles daran getan, aus dir einen guten Kerl zu machen?' Um mich vor seinen unaufhörlich auf mich niedersausenden Fausten zu schützen, rollte ich mich wie ein Fötus zusammen. Das regte ihn noch mehr auf. 'Wehre dich wenigstens wie ein Mann!', schrie er, 'Benimm dich nicht wie ein Weib!'
Meine Mutter kam jetzt, von dem Krach angezogen, mit entsetzter Miene in mein Zimmer gerannt. Ich weiß nicht wie es geendet hätte, wenn sie meinen Vater nicht von mir weggezogen hätte. Ich rührte mich nicht. Allein schon das Atmen verursachte höllische Schmerzen. Ich war mir sicher, dass einige Knochen gebrochen waren, aber in irgendeiner Weise fühlte ich, dass ich es verdient hatte. Ich wusste, dass es schlecht war, mit einem Mann zusammen zu sein. Das hatte ich in meiner Erziehung und während meinem Leben in unserem Dorf gelernt. Das, was ich fühlte, war gegen die Natur. Gott würde mich dafür strafen. Mein Vater hatte nur an seiner statt gehandelt. Mein ganzer Körper schmerzte, aber ich hatte meinen Eltern einen noch viel schlimmeren Schmerz hinzugefügt. Was würden die Nachbarn und die anderen Ortsbewohner sagen, wenn diese Geschichte ans Licht kam? Durch meine Schuld würden meine Eltern einen irreparablen Gesichtsverlust erleiden. Ich habe mich angezogen, bin die Treppe heruntergeschlichen und habe die Haustür ganz leise hinter mir zugezogen. Im Wohnzimmer hörte ich meine Eltern aufgeregt reden. Meine Mutter weinte, mein Vater klang verzweifelt. Das war das letzte Mal, dass ich die Stimme meiner Eltern hörte.
Wir fanden einander am Bahnhof wieder. Ich reiste mit dir in die Stadt und zog bei dir ein. Dein Studentenzimmer war klein, aber wir brauchten nicht viel, und außerdem hatte ich alle meine Sachen bei meinen Eltern hinterlassen. In der Stadt waren die Menschen offener und nicht so weltfremd wie im Dorf, wodurch wir uns freier bewegen konnten, aber ich blieb schüchtern. Etliche Male habe ich mit dem Telefon in der Hand gestanden um meine Eltern anzurufen, aber ich habe mich nie dazu überwinden können. Ich hatte ihnen eine Karte geschickt um ihnen mitzuteilen wo ich mich aufhielt. Sie haben nie reagiert.
Die Jahre vergingen. Du beendetest dein Studium glorreich und fandst eine gute Arbeit, ich jobbte als Verkäufer. Wir zogen in ein größeres Apartment. Alles schien so perfekt. Außer dem schlummernden Gefühl, das mich immer begleitete, war es das auch. Aber dieses stechende Gefühl, das Gefühl, dass wir etwas Schlechtes taten und etwas Schlechtes waren, verfolgte mich ständig. Konnte ich so jemals glücklich werden? Nein. Aber wie konnte ich mich selbst akzeptieren solange meine Eltern mich verurteilten? Das konnte ich auch nicht. Wir hatten deine Eltern informiert als ich bei dir einzog, und sie hatten es gut aufgenommen. Sie kamen selbst aus einer freien Familie und hatten keine Probleme mit der Situation. Du konntest es nie ertragen, mich niedergeschlagen zu sehen, und versuchte mich dann immer aufzuheitern. Deine Eltern taten ihr Mögliches, um mich wie ihren eigenen Sohn aufzunehmen. Vielleicht war ich undankbar, aber obwohl ich ihr liebevolles Entgegenkommen sehr schätzte, sehnte ich mich nach dem wohlwollenden Händedrück meines Vaters und der Glückwünsche meiner Mutter.
Schließlich ging es nicht länger. Vielleicht hattest du einen anderen Mann kennengelernt, der positiver im Leben stand und sich selbst nicht verabscheute. Vielleicht frustrierte es dich zu sehr, dass du mir nicht helfen konntest. Auf jeden Fall hattest du dich entschlossen, unsere Beziehung zu beenden.
Meine kleine Welt brach zusammen.
Unser Abschied war schwer. Ich würde solange bei einem Freund unterkommen, sagte ich dir, bis ich eine eigene Wohnung gefunden hätte. Möglicherweise wusstest du, dass ich log. Vielleicht hofftest du, dass ich die Wahrheit sprach. Ich hatte keinen Freund, bei dem ich unterkommen konnte. Seit meiner frühesten Jugend waren meine Familie und du alles was ich hatte. Freundschaften haben sich niemals entwickelt, weil ich mich vor mir selber schämte und mich niemals jemand anderen als dir hätte öffnen können. Ich verließ unser Haus - dein Haus - ohne Ziel. Nachdem wir uns ein letztes Mal umarmt hatten, schaute ich mich nicht mehr um. Ich lief, bis meine Beine mich nicht mehr tragen konnten. Ich weinte nicht. Meine Emotionen hatten einen Punkt erreicht, an dem ich nichts mehr empfand. Meine letzten Gedanken widmete ich liebevoll meinen Eltern, die alles getan hatten, aus mir einen guten Menschen zu machen, und unseren glücklichen, sorgenfreien Momenten. Als ich sprang sah ich uns vor mir, zwei fröhliche sechsjährige Buben, wie wir rannten und lachten.

 

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